Geschichten der Selva

7 03 2012

Ich habe ja schon einige Male vom Glockenturm am Ufer des Rio Ucayali berichtet, der „reloj publico“. Dieser Uhrturm ist rundum mit bunden Glasfenstern geschmueckt, die im Dunkeln beleuchtet werden.

Auf den Bildern sind typische Tiere, Menschen und Fabelwesen der Umgebung abgebildet.

Letzte Woche hat uns Dr. Leveau nach dem Spaetdienst am Dienstag nach hause gefahren und noch einen Abstecher zu dieser Uhr gemacht um uns ein paar Gutenachtgeschichten zu erzaehlen 😉

Julian besitzt zum Glueck ein besseres Gedaechtnis als ich und hat sich die Muehe gemacht die Geschichten aufzuschreiben:

Geshichten der Menschen der Selva

Am Hafen von Pucallpa steht eine Uhr mit bunten Glasfenstern, die verschiedene Elemente und Geschichten der Menschen aus der Selva zeigen. Dr. Leveau hat uns einen Abend mit zur beleuchteten Uhr genommen und uns einige Geschichten erzaehlt – und welche Hintergruende er dazu kennt:

Die Delphine
Nachts, wenn die Menschen schlafen kommen die Flussdelphine an Land. Sie verwandeln sich in menschliche Wesen und stehlen die schoensten Toechter des Dorfes – und schwaengern sie. Danach bringen sie sie zurueck.

-> Dr. Leveau meint dazu, dass einige Vaeter ihre Toechter geschwaengert haben. Um das moralische Gesicht zu wahren und zu erklaeren, wie das Maedchen schwanger wurde, ist diese Legende erfunden worden.

Der Typ mit den unterschiedlich grossen Fuessen
Wenn sich jemand in der Selva im immergruenen Baeume- und Blaettergewirr verirrt, dann erscheint diese gemeine Gestalt. Er nimmt aber die Form eines dem verirrten bekannten Menschen an. Er versteckt aber seine unterschiedlich grossen Fuesse. Er versucht sein Vertrauen zu gewinnen und bringt ihn dazu ihm zu folgen. Gelingt ihm das, verliert sich der Verirrte fuer immer im Labyrinth des Waldes. Bemerkt der Verirrte die ungleichen Fuesse, verschwindet der Boesewicht sofort und der Suchende hat noch eine Chance zurueckzufinden.

Die Schwangere und die Rochen
Bis in die Stadt reicht das Geruecht, das in eine Schwangere Frau 3 Rochen aus dem Fluss eingedrungen sind, um sie von innen aufzufressen. Sie konnte 2 aus ihrem Koerper verbannen und sie vielen aus ihrer Scheide. Der dritte Rochen blieb jedoch im Koerper und bring sie um.

-> Dr. Leveau hat sich als Epidemiologe um die Aufklaerung dieses Falles bemueht und meinte, dass es sich in biomedizinischer Sicht um eine Blasenmole gehandelt habe.

Die Schwangere und das Faultier
Eine andere Schwangere berichtet von einer Begegnung mit einem Faultier waehrend ihrer Schwangerschaft. Als das Kind geboren wurde entickelt es lange Fingernaegl, die sich wie die Krallen eines Faultieres kruemmen.

-> Dr. Leveau: Nagelpilz

Die Schwangeren und das Tierfleisch
Manche Schwangere glauben, dass sich das Kinde, wenn sie waehrend der Schwangerschaft sich von Tierfleisch ernaehren, in das jeweilige Tier verwandelt.

-> Dr. Leveau: Die Folge ist, dass die Schwangeren kein Fleisch mehr essen, wobei dies ein wichtiger Proteinlieferant fuer sie ist. Sie sind unterernaehrt.



Mittwoch

7 03 2012

Heute wie gestern wieder Visite von halb 9 bis halb 12. Wieder ein paar Faelle von denen ich euch gern berichten moechte:

1. Ein maennliches Kind, 15 Monate

  • Fruehgeburt mit Kaiserschnittzur Welt gekommen.
  • ziemlich unterentwickelt, wiegt nur 7300g(muesste eigtl 11kg wiegen), motorische Entwicklung ist ebenfalls versoegert
  • der Junge ist seit 3 Wochen krank, er leidet an erhoehter Temperatur, Durchfall ohne Blut und Erbrechen.
  • Die Familie stammt aus der Umgebung von Iquitos und auch in diesem Fall war der Kleine erst wegen Susto in Behandlung (er hat bei einem evangelischen Pastor, stand zumindest so in der Anamnese Krauterbaeder gegen susto bekommen)
  • bei der Visite ist der Kleine extrem schlaefrig und wird nichtmal beri der Untersuchung wach. Sein Bauch ist riesig geblaeht und man kann eine Lebevergroesserung von bis zu 4cm unter dem Rippenbogen tasten.
  • Was soll ich noch sagen….auch hier wurde lediglich eine Parasitenuntersuchung gemacht mit dem Ergebnis: Ascariasis-Eier, anonsten keine Blutkultur, nichteinmal ein Labor um die Elektrolyte abzuklaeren.
  • Therapie erfolgt mit Doppelantibiose (Gentamicin und Penicillin), interessanterweise bekommt er nichts gegen die gefundene Ascariasis…..

Da bleibt mir glatt die Spucke weg…..ich glaube in Deutschland wuerde das Kind auf der Intensivstation liegen und ier bekommt es nichtmal Blut abgenommen.

2. Maedchen, 4Jahre

  • seit 5 Tagen krank mit Fieber, Erbrechen, Bauchschmerz, Kopfschmerz
  • seit gestern kein Fieber mehr, aber weiterhin reduzierter Allgemeinzustand und zusatzlich Muskelschmerzen
  • im Labor: Haematokrit und Thrombozyten und erniedrigt (bisher Minimum: Thrombos 114.000, Hkt.34) TPZ erhoeht auf 18sek.
  • Diagnose: Dengue-Fieber mit Alarmzeichen
  • Therapie mit NaCl, Omeprazol, Paracetamol und 3mal taeglich Blutkontrollen der Gerinnung

3. Junge, 13 Jahre

  • Der Junge liegt schon seit Mitte Februar hier auf Station. Er kam wegen Uebelkeit, Erbrechen, auch- und Rueckenschmerzen und Pollakisurie(oft kleine Mengen Urin)
  • bei der Untersuchung wurde dann eine arterielle Hypertonie(Bluthochdruck) festgestellt, welche sich auch bei wiederholten Messungen nicht veraenderte. Er hatte regelmaessig Spitenwerte von 200/120
  • Es wurde ein Nierenultraschall gamacht, bei dem ein 5*6mm grosser Nierenstein links sowie mehrere Steine in der Blase gefunden wurden. Zusaetlich noch reaktiv eine Hydronephrose(Stauungsniere)
  • Es gab ein chirurgisches Konsil mit dem Ergebnis das der Stein mittels ESWL (Steinzertruemmerung durch Stosswellen) therapiert werden muesste
  • Leider wird das nur an teuren Privatkliniken in lima oder aber in einem Zentrum in Arequipa gemacht.
  • Der Jnge wurde also die letzten Wochen auf Blutdruckmedikamente eingestellt und bekommt inzwischen 25mg Captopril alle 8h + 40mg Propanolol ale 12h
  • Heute hat sich die Mutter entschieden, ihren Sohn wieder mit nach hause zunehmen, da die Blutdruckwerte sich unter der Therapie wieder normalisiert haben. Geld fuer eine Reise nach Arquipa hat die Familie nicht
  • Der Junge geht also heute wieder zurueck in sein kleines Dorf. Er soll viel trinken damit sich der Stein vlt. noch von selbst loest. Die Medikamente einnehmen und sich in der Posta im Dorf regelmaessig den Blutdruck messen lassen.

Auch bei diesem Fall bleibt wieder ein ungutes Bauchgefuehl.

 

Das wars jetzt erst mal von der medizinischen Seite. Heute abend haben wir noch wieder unseren Emergenciadienst und morgen nachmittag brechen wir auf zu unserem Wochenendausflug in den Dschungel. Wir fahren mit dem Boot 20h den Rio Ucayali flussabwaerts bis nach Contamana. Dort bleiben wir dann uebers Wochenende und fliegen am Montag frueh in 30minuten wieder zurueck nach Pucallpa.

Ihr werdet also erst Montag abend wieder was Neues hoeren.

Liebe Gruesse an alle fleissigen Blog-Leser



Dienstag

7 03 2012

Hier in der Paediatrie lauft alles ein wenig anders. Es gibt nur eine grosse Visite mit dem Chefarzt und einem der Oberaerzte und den Internos. Die dauert immer so 3 Stunden.

Die hiesige Arbeitsweise der Aerzte ist fuer mich stellenweise sehr fraglich. Ich habe das Gefuehl, das hier fast gar keine Untersuchungen gemacht werden. Fast jedes Kind bekommt Antobiotika (oft sogar mehrere verschidene) und viele bekommen Dexamethason.

Meine Gemuetslage schwankt zwischen „mit Kanonen auf Spatzen schiessen“ sowie „mangelhaft diagnostizierte schwere faelle“. Mir fehlt natuerlich der Ueberblick und will auch nicht sagen das alle Aerzte hier schlecht sind. Aber auch nach 3 Tagen glaube ich sagen zu koennen, das es hier  an gegenseitiger Absprache und Kontrolle fehlt.

Heute haben wir ein 2jaehriges Kind mit seiner Familie auf der Ueberwchungsstation der Paediatrie kennengelernt. Der kleine Junge hat seit ueber 1 Woche erhoehte Temperatur, schwarze Durchfaelle (Blut) und Erbrechen (ebenfalls schwarz) und Bauchschmerzen. Der Bauch ist geblaeht und Druckschmerzhaft. Der Kleine ist wenig aktiv, unterernaehrt, dehydriert und und  vor zwei Tagen konnte er seine Mutter nicht mehr erkannt.

An Diagnostik ist nur eine Untersuchung auf Parasiten gelaufen, Ergebnis: Strongyloidiasis(Zwergfadenwurm).

Als Diagnose steht in der Akte: Dehydratation, Sepsis und Strongyloidiasis.

Was alles nicht gemacht wurde:

  •  Blutkulturen (welche ja definitionsgemaess notwendig waeren fuer die Sepsisdiagnose und ausserdem fuer die Behandlung)
  • Stuhluntersuchung auf Bakterien
  • Urinuntersuchung
  • Lumbalpunktion
  • neurologische Untersuchung
  • Ultraschall-Abdomen

Ich habe den Chefarzt deswegen angesprochen und gefragt wieso das alles nicht gemacht wurde, ob es am Geld laege? Er hat gemeint, das waere wohl ein Fehler des betreuenden Arztes. Ich hatte aber nicht den Eindruck das er darueber sehr entzetzt war……

Naja was die Paediater an Untersuchungen versaeumt haben, versuchen sie nun wohl mit Medikamenten wieder gut zu machen. Jedenfalls erhaelt der Junge inzwischen 3verschiedene Antibiotika (Ampicillin, Ceftriaxon, Metronidazol) und noch ein Parasitenmittel(Ivermectin).

Die Famlie stammt uebrigens aus St.Clara, einem kleinen Dorf in der Laguna Yarinacocha. Das Dorf ist nur durch eine ca. 2stuendige Bootsfahrt zu erreichen. Die Eltern gehoeren einem indigenen Stamm an, sind aber keine Shipibos(ich konnte den Namen leider nicht ganz verstehen). Die Eltern glauben ihr ind ist an Susto erkrankt und Malaire (kulturell unterschiedliche traditionelle Krankheitsauffassungen der indigaenen Staemme Suedamerikas) . Ich habe den Vater gefragt ober er mir das erklaeren koennte. Er hat gesagt susto wuerden sie es nennen wenn ein Kind ploetzlich wirr im Kopf wird und malaire hat er mir mit ploetzlichem Erbrechen nachdem Essen erklaert. Behandeln wuerden sie es mit Ayauasca (ein halluzinogener Tee der von traditionellen Heilern eingesetzt wird) und mit Eiern, die sie ueber den Bauch reiben.

Wir haben auch noch den Oberarzt gefragt was seiner Meinung nach Sust waere und er hat uns sehr biowissenschaftlich  erzaehlt, das das ein Wechsel der Elektronegativitaet der Biomembranen waere. dadurch wuerde der Koeper in ein Elektrolytungleichgewicht fallen. Er hat mindestes dreimal gesagt, das das wissenschaftlich belegt ist. Auf Nachfrage sagte er, es gaebe keine psychische Komponente. Die Behandlung wuerde mit Dexamethason erfolgen.

Ein weiterer interessanter Aspekt fuer mich war der Umgang mit den Eltern des Kindes. Waehrend der Visite wurde die Interna vom Oberarzt am Krankenbett gefragt wieso die Anamnese unvollstaendig sei und die Eltern nicht gut kooperieren wuerden. Die Interna hat dann geantwortet, das das daran laege das die Mutter ungebildet sei, kaum kastellanisch spricht und nicht kooperiert. Die Mutter sass dabei die ganze Zeit daneben und ich bin mir ziemlich sicher das sie es verstanden hat.

Dieser kleine Patient hat mich heute sehr beschaeftigt. Der Zustand hat sich zwar inzwischen gebessert, zumindest erkennt er seine Mutter wieder, aber er hat immernoch Durchfall.

Leider muss ich noch ergaenzen das die Eltern noch am selben Tag entschlossen haben ihr Kind mit nach Hause zunehmen, weil sie kein Geld mehr haben und die SIS nicht fuer alle Leistungen aufkommt. Der Vater wirkte sehr niedergeschlagen. Ich glaube die Eltern fuehlen sich missverstanden und nicht sonderlich gut behandelt. Man kann es ihnen jedenfalls nicht veruebeln das sie ihr Kind nichtmehr laenger hier im Krankenhaus lassen wollen. Bleibt zu hoffen, das sich der Zustand des Jungen nicht wieder verschlechtert.

 

Chefarztvisite! in der Paediatrie

Chefarztvisite! in der Paediatrie